Ein Zukunftsvision von F.D. und T.R.
Ich bin gerade auf dem Weg nach Malchin zu einem Klassentreffen. Ich reise zusammen mit einem guten Freund an, der sich aktiv im Umweltschutz engagiert und die grüne Kleinstadt in Mecklenburg endlich selber sehen möchte. Heute sind wir mit einem neuem Solarauto unterwegs, das – wenn wir es lassen würden – auch alleine fahren würde.

Wenn ich zurückblicke, denke ich an meine ersten Fahrstunden auf diesen Straßen und einen wunderschönen Abiball. Aber auch an eine Stadt, die den Anforderungen ihrer Einwohner nicht gerecht wurde.
Das ehemalige Malchin
Die Einwohnerzahl Malchins betrug Ende des Jahres 2017 7346, das waren 456 Personen weniger als im Mai 2011. Unvorstellbar, dass die Kleinstadt im Herzen Mecklenburgs einmal über 10500 (Stand: 12/1995) Personen beherbergte. Das starke Sinken lag nicht nur an der immer älter werdenden Bevölkerung in Malchin und den damit verbundenen Sterbefällen, sondern vielmehr an seiner Unattraktivität.
Die Stadt bot kaum anschauliche Jobangebote für junge Leute, so dass diese aus der Stadt ziehen mussten. Ihnen fehlten zudem Freizeitangebote oder Orte an denen sie sich treffen konnten. Freizeitgeschäfte wie die Bowlingbahn wurden geschlossen. Unser Bolzplatz, der immer zu einer Runde hitzigem Fußball einlud, musste einem neuen Wohngebiet weichen und die Skaterbahn wurde von Tunningtreffen verdrängt, die nur einmal im Jahr stattfanden. Auch wenn neue Wohngebiete erschlossen wurden, mangelte es in der Stadt an Wohnraum für (junge) Familien. Die Spielplätze waren teilweise vermodert, so dass sie eine Gefahr für Kinder darstellten. Ein kollineares Angebot wurde durch viele Imbissbuden, zwei Pizzerien und einem Restaurant nur sporadisch gedeckt.
Doch diese Stadt scheint verschwunden zu sein, als hätte sie nie existiert.
Ein Wahl-Pflicht-Kurs übernimmt Verantwortung
Seit dem Jahr 2017 hatte unser Wahl-Pflicht-Kurs Naturwissenschaftliche Experimente die Möglichkeit, sich zusammen mit einem lokalen Projekthof über das Thema „Schule von Morgen“ zu befassen.
Wir begannen uns mit Verantwortlichen aus Karnitz Gedanken darüber zu machen, wie wir unsere Schule im Zeitalter des Anthropozäns verbessern könnten. Das Anthropozän ist das Zeitalter, in dem der Mensch die führende Rolle in der Gestaltung der Erde eingenommen hat.
Gruppen arbeiten an verschiedenen Themen
Wir teilten uns in Gruppen, die zu verschiedenen Thematiken arbeiteten. Ein Team beschäftigte sich mit der Energiegewinnung. Welche Möglichkeit hat unsere Schule, um z.B. Strom aus erneuerbaren Energien zu gewinnen? Schnell kam eine Photovoltaikanlage ins Gespräch und ein Fußweg, bei dem mit jedem Schritt Energie erzeugt werden kann. Dieser sollte sich zwischen dem Haus 1 und Haus 2 befinden.
Die Ernährungsgruppe entwickelte ein Konzept zur besseren Versorgung der Schüler. Eine neue Schulmensa sollte gebaut werden und das Essen nicht mehr angeliefert werden, sondern in Wahlpflichtkursen selbst gekocht werden. Ein wichtiges Kriterium dabei war, dass die Lebensmittel aus der Region stammen sollten, um Unternehmen in der Umgebung zu unterstützen und den Fahrweg um ein Vielfaches zu reduzieren. Außerdem wurde sich erhofft, den Schulgarten wieder ins Leben zu rufen, damit eigene Gemüse- und Obstsorten angebaut werden konnten.
Die Jungs aus der Verkehrsgruppe planten einen Fahrradshuttle vom Bahnhof zur Schule.
Jedes Team entwickelte somit seine universelle Lösung, um unsere Schule zu einer Schule von Morgen zu entwickeln.
Ideen werden in die Tat umgesetzt
Im Frühjahr 2019 fingen eine Handvoll Jungs zusammen mit einem Elektriker vom Projekthof Karnitz an, Photovoltaikplatten zu bauen. In der Zukunft sollten die Solarplatten auf dem Schuldach des Haus 1 angebracht werden und die nötige Energie für die Schule erzeugen. Ein paar Meter weiter schliffen andere Teilnehmer des Wahlpflichtkurses an Bänken, die wir anschließend im Juni 2018 auf unserem Schulhof platzierten. Ab diesem Zeitpunkt galten sie als beliebte Sitzmöglichkeiten neben kleinen Pflanzenbeeten, welche die Ernährungsgruppe aufgestellt hatte. Für die regionale Schulkantine zwischen der Regionalschule und unserem Gymnasium fehlten jedoch Genehmigungen von der Schulleitung, der Stadtverwaltung und vielen anderen Ämtern.
Damals waren uns die Auswirkungen unseres Projekts noch nicht bewusst. Wir hatten schließlich erst einmal klein gedacht und alles nur auf unsere Schule angepasst. Nach unserem Abschluss befassten sich die folgenden Jahrgänge mit den Themen, halfen beim Bau der Mensa und brachten selber viele Ideen ein.
Die Stadt der Zukunft
Genau fünf Jahre nachdem unser Projekt gestartet hatte, beschloss der Bürgermeister die Stadt komplett auf erneuerbare Energien umzustellen. Die Empörung in der Stadtbevölkerung war groß gewesen. Die meisten hatten bedenken, welche Auswirkungen diese Tatsache auf das Stadtbild und vor allem auf ihr eigenes Leben hätte. Würde alles mit Solarplatten und Windräder vollgebaut werden? Würden private Kosten aufkommen oder musste sogar das eigene Haus umgebaut werden?
Ihre Bedenken schlug das Stadtoberhaupt aus. Die Energie sollte überwiegend aus der Peene gewonnen werden. Dafür sollte der Staudamm im Park ausgebaut werden, um das Wasser besser aufzustauen. Mithilfe eines Laufwasserwerkes sollte die potenzielle Energie gewonnen werden und in nutzbare Energie umgewandelt werden. Außerdem war vorgesehen, Solarstraßen zu bauen bzw. die alten Straßen in solche umzubauen. Damit würde genug Strom für die ganze Stadt erzeugt werden.
Den Umbruch gemeistert
Seitdem hat sich vieles in Malchin getan. Die Kleinstadt hat ihr Stadtbild fast vollständig verändert. In der Innenstadt sind nur noch Elektroautos zugelassen, für die ein umfassendes Ladestationssystem aufgebaut wurde. Das beliebteste Fortbewegungsmittel scheint heute ein Fahrrad zu sein. Überall wo man hinguckt, stehen Fahrräder oder sind Menschen mit ihnen unterwegs.
Ein Zweirad kann mittlerweile an vielen Stationen z.B. in der Stadtverwaltung, an der Wassermühle oder auf Kösters Eck gemietet werden. Aufgrund dessen nennen viele Urlauber die Stadt liebevoll das Amsterdam der Mecklenburger Schweiz.
Große Grasflächen und Blumenbeete prägen das Bild der Stadt. Mit dem Umbau der Straßen wurden diese auch gleichzeitig reduziert, um die Stadtmitte und ihr Umfeld wieder aufgrünen zu lassen. Auf vielen Wiesen stehen Bäume und Büsche, die im Sommer wohligen Schatten spenden und nebenbei für eine gute Immission sorgen.
Zusätzlich hat die Stadt 2025 ein Verbot für Plastik in Supermärkten und der Gastronomie verabschiedet. Mit dem Gesetz soll der Plastikkonsum der Einwohner gehemmt werden. Als Gegenleistung hat die Stadt ihren Bewohnern Gärten angelegt in denen sie ihr eigenes Obst und Gemüse anbauen können. Während dem Anbau oder Ernten können neue Kontakte geknüpft werden und die Einwohner der Stadt in ihrem Zusammenhalt gestärkt werden. Einige Produkte aus den Gärten finden sich in Supermärkten und der örtlichen Gastronomie wieder.
Endlich scheint die Welt den Weg in die richtige Richtung einzuschlagen. Und ich bin fest davon überzeugt, dass Malchin, so wie es sich in dem letzten Jahrzehnt verändert hat, ein Vorreiter für noch viele weitere Städte sein kann.
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